„Schmachtlappen“ für die Fastenzeit

Das Hungertuch „Hoffnung den Ausgegrenzten“ aus dem Jahr 1996 von Sieger  Köder will den Grundauftrag von Misereor zum Teilen und zum „anders Leben“ in Bild bringen.

Hungertücher werden in der Huppenbroicher Kapelle ausgestellt. Zu den Werken gibt es ausführliche Erläuterungen.

Huppenbroich. Das Hungertuch ist ein Symbol der Buße. In den Wochen vor Ostern sollen die Christen umkehren, sich besinnen und durch Fasten und Gebet neu den Weg zu Gott finden. Ostern fällt das Tuch und das Schmachten hat ein Ende.

Um das Jahr 1000 wird erstmals über Fastentücher berichtet. Man nannte sie auch Hungertücher oder Schmachtlappen. Seit dem 12. Jahrhundert ist dieser Brauch in die Kirchen eingezogen. Das Tuch verhüllt den Chorraum vor dem Altar und hat einen Bezug auf den Tempelvorhang im Alten Testament. Es trennt die Gemeinde optisch von Altarraum und Reliquien und erlaubt den Gläubigen lediglich die Liturgie hörend zu verfolgen. Zur körperlichen Buße des Fastens tritt eine seelische. Der volkssprachliche Ausdruck „am Hungertuch nagen“ bezieht sich somit nicht nur auf materielle Armut.

Das größte erhaltene Hungertuch in Deutschland stammt aus dem Jahr 1612. Es misst zwölf mal zehn Meter und wiegt mehr als eine Tonne. Es gehört dem Freiburger Münster.

Bis etwa zum 12. Jahrhundert handelte es sich immer um ein einfarbiges Tuch, später entwickelte es sich als Form der christlichen Kunst. Die Motive entnimmt man bis heute dem Leben Jesu Christi und der gesamten Heilsgeschichte. Lokal beschränkt gibt es auch Szenen aus dem Leben der Heiligen.

Schwerpunkte der künstlerischen Entwicklung waren einerseits die Alpenregionen Kärnten und Tirol, andererseits Westfalen und Niedersachsen. Die alpenländische Tradition bemalte aneinandergenähte Bahnen fester Leinwand mit Temperafarben. Es entstand mit diesem Brauch eine Frühform der Tuchmalerei. Im Münsterland in Westfalen und Niedersachsen hielt sich lange die Stickerei auf festem Leinen. Einzelne Motive wurden auf kleineren Rechtecken abgebildet. Mit Beginn der Neuzeit verflüchtigte sich die Ausstellung von Hungertüchern in der Fastenzeit und hielt sich nur noch in Westfalen und im Münster zu Freiburg. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde der Brauch durch die bischöfliche Aktion „Misereor“ 1976 neu belebt.

Alle zwei Jahre erstellt ein Künstler, der oftmals aus den ärmeren Ländern der Erde stammt, ein neues Hungertuch, das in Kopie in vielen Kirchen aufgehangen wird. Das Misereor-Hungertuch ist ein zentraler Bestandteil der Misereor-Fastenaktion. Jedes Jahr verwenden Gemeinden und Schulen die Szenen des Bildes, um sich in der Fastenzeit und darüber hinaus mit drängenden Themen der sozialen Gerechtigkeit auseinanderzusetzen.

In den Ausstellungsfenstern der Huppenbroicher Kapelle werden aktuell Kopien der Hungertücher aus den Jahren 1976, 1978, 1982, 1984, 1990 und 1996 präsentiert. Ausführliche Erläuterungen zu den Werken sind ausgelegt. Ein digitaler Bildschirm zeigt darüber hinaus alle Hungertücher, die Misereor bis jetzt herausgegeben hat.

Ein Blick in die Christkönig-Kapelle lohnt sich ebenfalls. Dort hängt im Altarraum ein großes Poster, das das aktuelle Hungertuch des Jahres 2015 zeigt. Mit diesem Hungertuch wird Neuland beschritten, so ein Sprecher von Misereor. Es ist das erste halbabstrakte Bild und wurde von dem chinesischen Künstler Prof. Dao Zi in Aachen im Künstleratelier Otto 36 gemalt. Der Künstler lebt in Peking und lehrt an der dortigen Tsing Hua University.

Quelle: Eifeler Zeitung
Bericht: Gabriele Keutgen-Bartosch, Foto: Misereor